Schlagwort: Buchkritik

[Lesenswert] Der Tod des Iwan Iljitsch – Leo Tolstoi

Nach Wochen voller Fachliteratur (die durchaus spannend ist) habe ich mir endlich mal wieder eine Stunde freigeschaufelt und mich in einen russischen Klassiker geworfen. Leo Tolstoi (übrigens auch Vegetarier, der Gute) begleitet mich schon mein Leben lang, ob Anna Karenina oder Krieg und Frieden – zu Beginn meines Studiums habe ich Nächte mit ihm verbracht. Dann wurde die Zeit kürzer, aber zum Glück auch seine Werke. Der Tod des Iwan Iljitsch hat in der Reclam-Ausgabe (die ich im öffentlichen Bücherschrank hier in Ziegelhausen fand) gerade einmal 92 Seiten und die habe ich locker-flockig runtergelesen.

Worum geht’s Um das Leben und Sterben des 45-jährigen Justizangestellten Iwan Iljitsch, der an einem Magenleiden erkrankt und sich plötzlich der Gewissheit stellen muss, dass es das jetzt gewesen ist. Es geht um die Themen Angst vor dem Tod, Machtlosigkeit, Frustration, dem Bewusstwerden, dass man das eigene Leben nicht sinnvoll, „gut“, gelebt, sondern für andere konstruiert hat.

Wie ist’s Absolut fesselnd, auch wenn man weiß, dass am Ende der Tod steht. Das Werk beginnt mit der Trauerfeier Iwan’s, welche durch die Perspektive eines Kollegen geschildert wird. Danach erfährt man kurz seinen Werdegang, die unglückliche Ehe, die Beziehung zur Arbeit und zu seinen „Freunden“. Als er erkrankt, erlebt man mit, wie Iwan mehr und mehr in Machtlosigkeit zerfällt, was so eindringlich beschrieben wird, dass man beim Lesen Pausen machen muss, da es sehr stark wirkt. Es hilft einem aber, sich jetzt schon (ohne den eigenen drohenden Tod vor Augen) mit all den Fragen zu beschäftigen, mit welchen Iwan kämpft, sich zu überleben, ob das, was man tut auch das ist, was man tun will.

Tolstoi geht hier auf die Frage ein, wie wenig Rationalität einem hilft, den eigenen Tod zu rechtfertigen, wie wenig dieses eigentlich logische Ereignis, das wir alle erfahren werden, durch Logik erklärt werden kann. Trost spendet diese Tatsache zumindest nicht, weder Iwan noch seiner Familie. Das dünne Büchlein ist sehr sprachgewaltig und die Thematik zwar schwer, aber absolut lesenswert. Es geht an die elementaren Fragen, die wir uns alle stellen und beschreibt sehr anschaulich einen Einzelfall, welcher wohl auf einem realen Vorbild (Bruder eines Freundes von Tolstoi) basieren soll. Wer russische, düstere, melancholische Literatur mag, das ist absolut euer Buch! Für mich hätte es gerne auch doppelt so lange sein dürfen, wobei Tolstoi alles gesagt hat, was es dazu zu sagen gab – mich hätten nur die Perspektiven der anderen Beteiligten noch etwas mehr interessiert, besonders die Beziehung zur Ehefrau war nicht gerade einfach.

Mögt ihr Tolstoi auch so gerne? Was habt ihr zuletzt von ihm gelesen? Wenn ihr einen unbekannten russischen, gerne zeitgenössischen Autor habt, her damit 🙂 Mein Bücherstapel ist zwar absolut übertrieben hoch, aber ein Buch mehr geht immer noch!

[Lesenswert] Choke Chain von Jason Donald!

In einem öffentlichen Bücherschrank in Playa del Carmen stolperte ich über das Buch Choke Chain von Jason Donald, von welchem ich bis dato noch nie gehört hatte. Da ich aber Lesenachschub brauchte und der Klappentext ganz gut klang, nahm ich es mit und hatte es dann innerhalb von zwei Tagen durch. Man könnte somit durchaus sagen, ich habe es sehr gerne gemocht und ja, ich muss es euch einfach vorstellen 😉

Worum es geht Der zwölfjährige Alex wächst mit seinem jüngeren Bruder Kevin und seinen Eltern in einer armen Wohngegend in den 1980ern in Südafrika auf. Die Ehe seiner Eltern ist angespannt, besonders der Vater scheint kein sehr guter Mensch zu sein und die Kinder wachsen in recht zerrüttelten Verhältnissen auf. Dazu kommt, dass sie sich ihre Position in einem Land zurechtsuchen müssen, in welchem sie irgendwie Fremde sind, aber doch auch nicht. Wir haben Schulalltag, Liebe, Mobbing und Gewalt aber auch den Zusammenhalt von Brüdern als Überthemen in diesem Coming of Age Roman.

Wie es ist Wunderbar klar geschrieben, aber eben doch fesselnd. Der Autor nimmt lieber wenige Worte, aber dafür die, die eine Wirkung hinterlassen. Ja, ich hatte Tränen in den Augen und das während ich am Strand lag, da die Geschehnisse treffen. Der Charaktere sind sehr gut entwickelt, man leidet nicht nur mit Alex, sondern auch mit Kevin und der Mutter mit. Man hofft, auf ein Happyend, weiß aber, dass die Realität es ihnen wohl nicht schenken wird. Aber genau wie die Charaktere gibt auch der Leser nicht auf.

Besonders spannend war das Setting, ich habe bisher wenig gelesen, was in Südafrika spielt und noch nie etwas aus Perspektive der weißen, sozial schwachen Schicht. Definitiv mal etwas anderes und ich hoffe ja sehr, dass der Autor nach diesem Debüt noch ein zweites Buch aus einem ähnliche Milieu nachlegt, ich würde mich auf jeden Fall sehr darüber freuen!

Solltet ihr Lust auf ein etwas anderes Buch haben, schnappt euch Choking Chain und keine Angst, es ist leicht verständlich geschrieben. Ich habe es gleich vor Ort einer Bekannten in die Hand gedrückt, welche mir schon schrieb, dass sie es ebenfalls grandios fand und innerhalb von einem Tag durchgelesen hat. Manchmal findet man solche literarischen Perlen, wenn man sie am wenigsten erwartet und ich bin sehr froh, darüber gestolpert zu sein! 

[Lesenswert] Modern Romance – Aziz Ansari

Viele von euch dürften den Stand-up-Comedian Aziz Ansari schon kennen, seine Serie auf Netflix und auch seine Shows sind ja ziemlich bekannt, ich kenne ihn primär von Trevor Noah. Von seinem Buch Modern Romance über Liebe im 21. Jahrhundert hatte ich auch schon einige Male was gehört, es aber dann doch immer wieder vergessen. Gut, dass es in meiner neuen WG hier in Brooklyn mal direkt im Bücherregal stand – neben vielen anderen Werken, die ich schon ewig lesen will und in den vier Wochen gar nicht schaffen kann. Somit Prioritäten gesetzt und erstmal dieses geschnappt (es ist ewig her, dass ich ein Hardcover gelesen habe, wie schwer die doch sind)!

Worum geht’s Um die Welt des Onlinedatings und unser Flirtverhalten per Textnachricht, Chat oder Email. Was ich mal super interessant fand, denn ich muss gestehen, ich habe noch nie online gedatet oder geflirtet. Meinen ersten Freund lernte ich zwar in IRC kennen, da wir gemeinsam Counter Strike zockten, aber das zählt nun nicht wirklich. Klar kenne ich Ok Cupid und Tinder vom Namen her, benutzt habe ich die Seite bzw App aber noch nie und fühlte mich so durchaus etwas veraltet. Aber ach, ich lerne Menschen gerne real kennen und habe so schon einen ersten Eindruck, bevor man sich entscheidet, dass man sich wiedersehen mag – oldschool eben.

In Modern Romance hat sich Ansari gemeinsam mit dem Soziologen Eric Klinenberg aufgemacht, unsere Suche nach der Liebe online zu durchleuchten. Er beginnt damit, wie man früher seine Partner fand und wie unendlich viele Optionen wir doch heute haben, dass wir geradezu überfordert sind. Es geht um die ersten Kontakte, wie viel man von sich preisgibt, das Rätsel wann man wem und was zurückschreibt und schließlich, wie die ersten Dates waren. Auch reisen sie um die Welt, interviewen viele junge Leute in Japan, Frankreich, Argentinien und den USA, was sie suchen, was sie wollen und wie sie eben Partner finden. Auch das Thema „Partnerschaft online beenden“ wird durchleuchtet und ach, allein die Vorstellung, dass jemand mit mir via einer Textnachricht Schluß macht, finde ich mehr als schaurig und so gar nicht passend, aber da bin ich wohl die alte Generation.

Wie ist’s Lustig und interessant, viele eher seichte Infos werden mit Studien untermauert und geben dem Ganzen durchaus etwas mehr Glaubwürdigkeit. Ich mag den Humor von Ansari, für mich hätte das Buch aber auch kürzer sein dürfen, da sich vieles doch wiederholt oder einfach zu durchgekaut wird, obwohl es nicht so viel bietet. Das Buch ist nett gemacht mit Infografiken, Bildern und es hat mich gut unterhalten. Allerdings glaube ich – ich diskutierte mit meinem Mitbewohner, der gerade von seiner Freundin verlassen wurde, allerdings mit einem Gespräch – dass vieles schon fast wieder veraltet ist bzw sich unser Onlineverhalten eben doch ständig verändert. Mal sehen, ob ich mich irgendwann doch motivieren kann, das Buch war hier aber eher abschreckend als motivierend. Wobei mein einer Freund durch Tinder seine neue Freundin fand und mein anderer Freund ständig bei Ok Cupid ist..aber nee, irgendwie. Es reicht übrigens, das Buch in der Metro in New York zu lesen, ich wurde gleich dreimal angequatscht, ob ich denn noch auf der Suche wäre 😉

Also kein „müsst ihr gelesen habe“-Buch, aber durchaus unterhaltsam und gut geschrieben. Ich freue mich, dass ich es jetzt endlich gelesen habe und auch, dass ich es hier in der WG wieder in den Schrank stellen kann. Ein paar Infos werde ich bestimmt in Erinnerung behalten und in den richtigen (Smalltalk-)Momenten ausgraben und nutzen können. Die Welt des Onlinedatings wurde mir auch jeden Fall etwas näher gebracht, aber wirklich in dieses „wann schreibe ich ihm und wie viel“-Thema will ich nicht wirklich eintauchen, dafür ist unser Leben doch viel zu kurz.

Kennt wer das Buch? Wie hat es euch gefallen? Wer datet hier denn so online und hat vielleicht eine lustige Anekdote zu erzählen? 

[Lesenswert] Ru – Kim Thúy

Ein Freund von mir aus Montreal schenkte mir nun zum zweiten Mal ein Buch eines lokalen Autoren und hat auch dieses Mal wieder so richtig ins Schwarze getroffen, was meinen Geschmack angeht. Sonst wäre ich nie im Leben über Ru von Kim Thúy gestolpert, so habe ich das Buch aber innerhalb von zwei Stunden verschlungen. Leider, denn ich hätte noch ewig weiterlesen können, so fesselnd war der Schreibstil, so bewegend und er hat mich alles um mich herum vergessen lassen. Die vietnamesische Autorin und ihre englische Übersetzerin Sheila Fischman haben hier einfach nur großartige Arbeit geleistet, es ist herzzerreißende Poesie in einer Schlichtheit, die einem den Atem raubt.

Worum geht’s Der Titel Ru bedeutet auf französisch kleiner Strom von Tränen, Blut oder Geld und im vietnamesischen bedeutet es Schlaflied, jemanden einlullen. Unsere vietnamesische Protagonistin muss als Zehnjährige mit ihrer Familie über’s Wasser aus Saigon fliehen und endet in einem Flüchtlingslager in Malaysia. Von dort gelangt die Familie schließlich nach Quebec, wo sie sich ein neues Leben aufbauen, die Hauptperson aber als Erwachsene wieder zurück nach Vietnam kehrt, welches ihr so fremd geworden ist. Ru beschreibt diese Reise, diesen Strom durch das Leben, in kurzen Abschnitten, die meist chronologisch, manchmal rückblickend geschrieben sind. Die Autorin hat einen sehr klaren Blick, beschreibt oftmals in wenigen Worten Situationen, die einen aufschrecken und zum Nachdenken bringen.

Wie ist’s Absolut fesselnd und mitreißend, nicht umsonst hat das Buch so viele Preise und Nominierungen bekommen. Kim Thúy imponiert mir sehr, hat sie zunächst als Näherin gearbeitet, sich dann als Übersetzerin, Anwältin und Restaurantbesitzerin durchgeschlagen, bevor sie sich nun vollkommen dem Schreiben von Montreal aus widmet. Ihre Sprache ist Poesie, ich kann es nicht anders ausdrücken und ihre Worte haben verdammt viel Kraft. Das ist keine Nebenbei-Lektüre, sie verdient und fordert die komplette Aufmerksamkeit des Lesers. Was sich lohnt, da jede Seite einem Einblick in ein Leben und in Welten offenbart, die einem selbst sehr fremd sind. Wie sie die Flucht aus Vietnam per Boot erlebt, das Leben im Flüchtlingslager als Kind begreift und Sinn aus ihrer neuen Heimat Kanada zu machen versucht, nehmen mit. Man will über dieses Buch reden, man tut es, auch mit Fremden, da es so eine Kraft über einen hat.

Sie beschreibt sehr negative Erlebnisse, brutale, fast unmenschliche Verhaltensweisen, aber eben auch die schönen Momente, die es auch in den schlimmsten Situationen gibt. Diese Mischung macht das Buch aus, gibt einem Mut und zu wissen, dass vieles davon eben auf wahren Gegebenheiten beruht, macht es für mich noch interessanter. Klar weiß man die groben Daten, was mit Vietnam geschah, aber dieses Buch trifft einen auf einer anderen, weit emotionaleren Ebene und hat mich sofort dazu motiviert, mich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wobei ich gerade letzte Woche in meinem Onlinekurs wieder etwas über Flüchtlinge in Malaysia gelernt habe und die Situation dort nicht wirklich besser geworden ist in all der Zeit. Was definitiv mehr Aufmerksamkeit in der Welt bekommen sollte.

Einziger Meckerpunkt ist, dass das Buch mit 140, oft nur halb beschriebenen Seiten, einfach zu kurz ist. Nicht, dass die Geschichte fehlende Elemente hat, überhaupt nicht, man will nur weiterlesen. Hier hätte es gerne die doppelte Länge sein dürfen mit eben noch mehr Episoden, gerne von den anderen Familienmitgliedern.

Dieses Buch würde ich uneingeschränkt jedem empfehlen, da es eine Wortgewalt hat, die ich selten so gelesen habe, dabei aber gleichzeitig wunderbar einfühlsam geschrieben ist. Diese Mischung ist es, über die man eben nicht so oft stolpert und ich weiß jetzt schon, dass das nicht das letzte Werk von Kim Thúy sein wird, welches ich gelesen habe. Absolute Literaturliebe!

[Lesenswert] A Visit from the Goon Squad – Jennifer Egan

Gehört hatte ich von dem Buch A Visit from the Goon Squad von Jenniger Egan noch nicht, aber als ich es im öffentlichen Bücherschrank fand, hat mich das Cover definitiv angesprochen und der Sticker „Winner of the Pulitzer Prize“ hat dann doch den Ausschlag gegeben, es mitzunehmen. Primär, weil ich etwas verwirrt war, wieso ich ihren Namen nicht kenne, normalerweise bin ich hier ziemlich up to date, aber das ging an mir komplett vorbei. Gelesen habe ich es während meiner Spaziergänge durch Montreal und das hat sehr gut zu der kreativen, sehr musikaffinen Stadt gepasst, aber dazu gleich mehr.

Worum geht’s Wir haben Bennie, der ehemals Punkbands managte, mittlerweile aber ziemlich gealtert ist und somit etwas in einer Lebenskrise steckt. Sasha ist seine jüngere Angestellte, die ebenfalls eher in einer dauerhaften Krise steckt. Durch diese beiden lernen wir diverse andere Charaktere kennen, die sowohl in ihrer Vergangenheit wie auch in ihrer Gegenwart eine Rolle spielen. Hauptakteur des Buches ist aber Musik, um die sich so ziemlich alles dreht! Wir haben Selbstzerstörung sowie Erlösung und man weiß selten, in welche Richtung das aktuelle Kapitel geht.

Wie ist’s Ich tat mir zu Beginn etwas schwer, da das Buch zwar ein großes Ganzes ist, im Grunde sind die einzelnen Kapitel aber Kurzgeschichten, die chronologisch nicht notwendigerweise zusammenhängen. Nachdem ich das kapiert habe, war es ein wahrer Lesegenuss. Jennifer Egan schreibt wunderbar, sie hat einen sehr schwarzen Humor, viel Kreativität, wenn es um ausgefallene Charaktere und noch irrsinnigere Wendungen geht. Man weiß nie, auf wen man auf den nächsten Seiten trifft und wie diese Person mit unseren beiden Hauptcharakteren zusammenhängt, aber man hat einfach nur Lust, genau das herauszufinden.

Ein Roman, der durchaus süchtig macht und einen fesselt, ich habe ihn sehr schnell durchgelesen. Am besten natürlich mit Musik im Ohr, die hier eine große Rolle spielt und somit omnipräsent ist. Es macht Spaß, das Buch zu lesen, man muss schmunzeln, manchmal tut es aber auch weh und man leidet mit den Protagonisten mit. Für mich ein sehr gutes Gesellschaftsportrait, welches nicht aus der Luft gegriffen ist. Das Einzige, was mir nicht zusagte, war die 40-seitige Powerpointpräsentation, die ein Kapitel des Buches ausmacht, aber erneut, man muss ihr lassen, dass das eine kreative Idee war.  Es ist kein Buch, welches ich jedem empfehlen würde, da es eben doch etwas spezieller ist, aber wenn ihr dunkle, satirische Lektüre und Musik mögt, ist es genau für euch geschrieben!

Kennt ihr A Visit from the Goon Squad? Wenn ja, wie hat es euch gefallen? Was habt ihr noch von Jennifer Egan gelesen, was ihr empfehlen könnt? Ich lasse das Buch jetzt hier bei einem Freund zurück und hoffe, dass es ihm auch Freude bereitet.

[Lesenswert] Kalt ist der Abendhauch – Ingrid Noll

Ingrid Noll verbinde ich primär mir Kriminalromanen, wodurch ich noch nie ein Buch von ihr in die Hand genommen habe, da das einfach weniger mein Genre ist. Als ich dann aber Kalt ist der Abendhauch im öffentlichen Bücherschrank stehen sah, las ich mir doch einmal den Klappentext durch und schwupps, landete der Roman in meiner Tasche. Er klang nämlich nach einer guten, nicht ganz konventionellen Urlaubslektüre, die sich um mein Steckenpferd, nämlich alte Menschen, dreht. Dass es dann noch Liebe und Mord sowie ganz überraschende Familienkonstellationen und Beziehungen gibt, hat die Sache für mich rund gemacht und am Ende las ich das Buch an zwei Morgenden durch, während mein Freund noch seelig schlummerte.

Worum geht’s Die Geschichte startet damit, dass die 83-jährige Charlotte Besuch von ihrem Schwager Hugo bekommt, den sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Schon vor seiner Hochzeit mit ihrer Schwester Ida war sie in ihn verliebt und noch immer bekommt sie Herzrasen, wenn sie nur an ihn denkt. Die Geschichte entfaltet sich langsam, vor seinem Besuch muss das Haus in Ordnung gebracht werden und man bekommt einen Einblick in das Leben unserer Hauptperson. Nach und nach offenbaren sich da ein paar familiäre Abgründe, Lügen und dann eine sehr eigenwillige Art von „Problemlösen“, die ich nicht habe kommen sehen. Mit dem Besuch von Hugo und ihrer gemeinsamen Zeit kommen noch ein paar mehr unausgesprochene Dinge auf den Tisch und langsam vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart.

Wie ist’s Der Beginn war etwas langsam, ich war bei der „alte Frau spricht mit Puppe“-Situation zunächst nicht sicher, ob ich das Buch weiterlesen will, aber zum Glück habe ich durchgehalten. Es wird nämlich richtig gut, hat einige sehr unerwartet kommende Wendungen und die Personen werden von Ingrid Noll hervorragend gezeichnet. Das Thema „Liebe im Alter“ wird sehr gut angesprochen und die Beziehung zwischen Charlotte und Hugo, welche sich so verändert hat und dann wieder doch nicht, ist einfach nur wahnsinnig spannend. Aber auch die Beziehungen innerhalb der Familien werden so dargestellt, dass man sofort eintaucht und irgendwie Teil davon wird.

Im Buch selbst passiert eigentlich gar nicht so viel, man hat viel Vergangenheit, die dann in die jeweiligen Momente eingeflochten wird und einem gut zeigt, warum wer so handelt, wie er es tut. Der Mord, DIE TAT, ist dann irgendwie eher nebensächlich und hilft, einige Personen näher zusammenzubringen. Das Buch lässt sich sehr leicht lesen, man kann ruhig man aufhören, da es nicht fesselnd in dem Sinne ist, dass man wissen will, wie es weitergeht, sondern eben mehr wie ein Besuch bei Verwandten. Es ist ein leises Werk, welches aber eben doch Wirkung hat und man vielleicht noch ein wenig länger über das Lebensende nachdenkt, doch so einen richtigen Knall sucht man hier doch vergebens.

Insgesamt gefiel mir der Stil von Ingrid Noll gut, einen Krimi von ihr müsste ich aber doch nicht lesen, außer er hat wieder ältere Protagonisten in sich, dann würde ich es mir vielleicht überlegen. Lustig fand ich ja, dass das Buch in Darmstadt spielt, was ei eher ungewöhnliches Setting ist, aber eben eine Stadt, mit der ich aufgewachsen bin. Habt ihr schon etwas von Ingrid Noll gelesen? Wenn ja, wie hat es euch gefallen?

[Lesenswert] Beatrice and Virgil – Yann Martel

Oh, was habe ich mich gefreut, als ich den Roman Beatrice and Virgil von Yann Martel in der Hostelbücherei in Singapur entdeckte. Natürlich musste ich ihn mir sofort schnappen, denn seit ich Life of Pi gelesen habe (und mich weiterhin dem Film verweigere), bin ich großer Yann Martel-Fan und wollte unbedingt mehr von ihm lesen!

Worum geht’s Dieses Mal fällt es mir etwas schwer, eine Inhaltsangabe zu geben, ohne zu viel vorwegzunehmen. Das Buch hat nämlich einige sehr spannende, überraschende Wendungen und somit fasse ich mich hier kurz. Henry, ein Schriftsteller mit Schreibblockade, bekommt einen Leserbrief, worin er um Hilfe bei einem Theaterstück gebeten wird. Aufgrund Langeweile treibt es ihn schließlich zu dem Absender, welcher sich als sonderbarer Kauz entpuppt, der als Taxidermist arbeitet und das Interesse von Henry zu wecken beginnt.

Wie ist’s Zunächst mal zu kurz, was war ich traurig, als es nach knapp 200 Seiten schon zu Ende war. Das Buch startet zwar etwas langsam, hatte mich aber doch schon von Seite 1, da es einfach nur großartig geschrieben ist. Der Klappentext bietet einem hier zum Glück auch nicht viele Infos, denn das Buch überrascht. Und überrascht. Und dann kommt wieder eine neue Wendung, die man einfach nicht hat kommen sehen.

Super fand ich auch die Abwechslung im Schreibstil, mal haben wir Prosa, dann werden Teile des Theaterstückes, an dem die beiden Männer gemeinsam arbeiten, abgedruckt und man ist mitten in dieser zweiten Story von Esel und Affe, deren Ende man auch unbedingt kennen will. Mantel verwebt diese beiden Erzählstränge auf einfach nur großartige Weise und das Lesen und Hin- und Herspringen ist ein Genuss. Es stört den Lesefluss gar nicht, im Gegenteil, es hat mich Seite um Seite lesen lassen und dass es keine Kapitel gibt, hat mir beim Aufhören auch nicht geholfen. Am Ende hatte ich das Buch an zwei Tagen durch, an denen ich eigentlich nicht mal Zeit zum Lesen hatte.

Das Ende hätte für mich gerne noch etwas ausführlicher sein dürfen, da ich einfach nicht wollte, dass das Buch schon vorbei ist, aber es endet mit einem ganz großartigen und wieder unerwarteten Moment und somit bin ich doch versöhnt. Will ich noch mehr von Yann Martel lesen? Absolut, für mich ist dieses Werk nämlich noch um einiges besser als Life of Pi und hat mich nun vollkommen überzeugt!

Habt ihr schon etwas von Yann Martel gelesen? Welches Buch von ihm könnt ihr mir denn noch empfehlen?

[Lesenswert] Bossypants – Tina Fey

Es gibt diese Bücher, die irgendwie so ziemlich jeder gelesen hat und man auch ständig online wieder über sie stolpert. So fühlte sich auf jeden Fall Bossypants von Tina Fey für mich an, nachdem ich das erste Mal den Klappentext las, war ich dann aber irgendwie nicht sonderlich an der Lektüre interessiert. Irgendwie habe ich es gleich in die Sparte von Bücher wie „How to be a woman„, was ich ja so gar nicht mochte, eingeteilt, eben feministisch angehauchte Werke, die für mein eigenes Verständnis nur überhaupt nicht feministisch, sondern eher belanglos an der Oberfläche dümpeln sind 😉 Jetzt fand ich Bossypants aber im dörflichen öffentlichen Bücherschrank und nahm es mir als Flugzeugbuch mit. In den 11,5 Stunden, die es bis nach Mexiko brauchte, hatte ich es auch geschwind ausgelesen und tippe nun schnell meine Gedanken, bevor ich sie wieder vergesse.

Worum geht’s Den meisten ist der Name Tina Fey wahrscheinlich ein Begriff, ich hatte sie irgendwie „nur“ als Comedian abgespeichert, dabei schreibt und produziert sie die TV Serie „30 Rocks“, welche ich vor längerem mal angefangen, dann aber doch wieder abgebrochen habe. Das Buch ist jetzt eine Mischung aus Autobiographie, Arbeitsalltag und Werdegang ihrer Karriere, gespickt mit vielen Wortwitzen, Anspielungen und eben auch dem „Kampf“ von Frauen in einer von Männern dominierten Filmindustrie.

Wie ist’s  Spontan würde ich sagen, dass es eine gute Wahl war, das Buch im Flugzeug zu lesen, da man eine leichte Unterhaltung bekommt, bei der man ab und zu schmunzeln muss und das in kurzen, gut verdaulichen Happen. Pausen kann man auch problemlos einlegen, man kommt schnell wieder in das Buch hinein und die Kapitel sind kurz gehalten. Da ich nun aber weder Tina Fey Fan bin, noch ihren Werdegang verfolgt habe, war es für mich teilweise doch recht uninteressant, da es eben sehr persönlich ist und mich ihre Erlebnisse auf einer Kreuzfahrt z.b. nun eben nicht sehr fesseln können. Für Fans von ihr oder 30 Rocks ist das Buch aber definitiv etwas, man erkennt nämlich sehr gut ihren Stil wieder, hier nur eben mal in Buchform.

Es ist erstaunlicherweise weniger reißerisch-feministisch und belehrend, wie ich es erwartet habe, was mich positiv überrascht hat. Auch wenn sie in Richtung politischer Themen geht (eine ihrer bisher größten Rollen war die Verkörperung von Sarah Palin während des Wahlkampfes) gelingt ihr das auf locker-flockige Art. Ein bisschen zwischen den Zeilen lesen funktioniert hier aber auch gut, sollte man sich doch ein paar mehr Gedanken machen wollen. Für mich war das mit das spannendste Kapitel, neben der Erzählung, wie 30 Rocks zustande gekommen ist. Mit (noch mehr= Worten über das Thema Stillen oder Babyformula kann man mich nämlich einfach nicht begeistern, egal, wie „komisch“ es auch geschrieben ist.

Als Fazit halte ich mal fest, dass es zwar nicht mein Buch war, ich es aber trotzdem in einem Rutsch durchgelesen habe (ich saß aber auch bei Condor ohne Entertainmentsystem fest) und ich durchaus ein paar Mal schmunzeln musste. Zum Lautlachen hat es nicht gereicht und einige Sachen fand ich auch eher gar nicht passend, aber insgesamt ist es eine gute Mischung. Besonders natürlich wenn man mehr über Tina Fey wissen will, was die meisten Menschen, die dieses Buch erwerben, wohl wollen. Hat man so gar keinen Plan, wer sie ist und was sie tut, es gibt dann doch bessere Autobiographien, die man lesen kann, die einem „mehr“ zu bieten haben.

Hat einer von euch das Buch schon gelesen und ist vielleicht sowohl Tina Fey oder 30 Rocks Fan? Wie hat es euch gefallen?

[Lesenswert] ABC-Lesechallenge – 3. Update! Auf zum Endspurt!

Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal an der ABC-Challenge (hier geht’s zu meinem Endstand) teilgenommen und hatte so viel Spaß dabei, dass ich auch dieses Jahr wieder mit dabei bin. Bei dieser Challenge geht es darum, innerhalb eines Jahres Buchtitel zu lesen, sodass jeder Buchstabe im Alphabet abgedeckt ist. Klingt eigentlich ganz einfach, es gibt jedoch Buchstaben, an denen ich zumindest letztes Jahr verzweifelt bin. Um die Challenge noch einen Ticken schwieriger zu machen, verbiete ich mir nämlich, Bücher nur wegen ihres Anfangsbuchstabens zu kaufen – ich muss sie entweder wirklich unbedingt lesen wollen und/oder sie im öffentlichen Bücherschrank finden. Da ich minimalistischer leben mag und mein Bücherregal sowieso aus allen Nähten platt, kaufe ich mir seit zwei Jahren nur noch sehr selten Bücher; meist leihe ich sie einfach aus oder hole sie aus einem öffentlichen Bücherschrank, wohin sie nach dem Lesegenuss auch wieder gehen.

Da wir jetzt schon im neunten Monat sind, wird es definitiv Zeit für ein letztes Update vor dem EndspurtLeider hat sich nicht sehr viel getan, was aber nicht an meiner Lesebereitschaft liegt, sondern daran, dass ich die „falschen“ Anfangsbuchstaben lese. Mal sehen, ob ich das in den verbleibenden Monaten noch etwas ändern kann oder dies vielleicht schon mein Endstand sein wird. Letztes Jahr habe ich 23 von 26 geschafft und für dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen, zumindest 24 hinzukriegen.

ZWISCHENSTAND:  von sechsundzwanzig Buchstaben sind neunzehn „gelesen“

 

Aging and the Indian Diaspora – Sarah Lamb
Barney’s Version – Mordecai Richler
Cockroaches – Jo Nesbo
Deutschland. Ein Wintermärchen – Heinrich Heine
Everyone has a story – Savi Sharma
Frühstück mit Kängurus – Bill Bryson
Glamorama – Bret Easton Ellis
How to survive as a rock band – Itchy Poopzkid
India – Shashi Tharoor
Juliet, Naked – Nick Hornby
Kontrabass, Der – Patrick Süskind
Life of Pi – Yann Martel
Mond über Manhattan – Paul Auster
New York Triologie – Paul Auster
O
Postmodernism – Christopher Butler
Q
Road to Mount Buggery, The – Mark Whittaker & Amy Willesee
Stadt und die Hunde, Die – Mario Vargas Llosa
Timbuktu – Paul Auster
U
V
Weiße Nächte – Fjodor Dostojewski
X
Y
Z

Ich habe mich dazu entschieden, sowohl englische als auch deutsche Titel für die Challenge zu nutzen, da ich zu circa 50% englische Bücher lese und das hier auch abgebildet werden darf. Außen vor lasse ich Hörbücher und Ebooks (fragt mich nicht, wieso), wobei ich sie zwar liebe, sie aber nicht sichtbar in meinem Bücherregal stehen.

Da sind es in den letzten drei Monaten doch tatsächlich nur „zwei neue“ Buchstaben geworden, dabei lese ich im Schnitt neben meiner Fachliteratur zwei Bücher die Woche. Aber nungut, jammern ist nicht, weiter geht es. Zwar bin ich wieder im Ausland unterwegs und dort ist die Suche nach öffentlichen Bücherschränken noch einmal eine andere Sache, aber irgendwie klappt das schon und vielleicht finde ich ja doch noch bis zum Jahresende fünf weitere spannende Titel mit den fehlenden Buchstaben.

Macht noch jemand bei der Challenge mit? Wie sieht euer Halbzeitstand aus? Hat jemand einen guten Buchtipp für einen der schwierigeren Buchstaben wie Q? 

[Lesenswert] Family Matters – Rohinton Mistry

Heute stelle ich euch mit Family Matters von Rohinton Mistry mal ein Buch vor, welches näher an meiner Doktorarbeit, aber trotzdem gut verdauliche Unterhaltung ist. Mistry ist ein (zumindest im englischsprachigen Raum) sehr bekannter, indischer Autor, dessen Werk Such a long journey ihn weltweit bekannt gemacht hat und auch absolut zu empfehlen ist. Seine Romane spielen meist in Mumbai und haben die dort lebenden Parsen als Protagonisten, was an sich schon spannend ist. Dass Mistry aber dazu noch ein richtig guter Geschichtenerzähler ist, macht jedes seiner Werke zu einem reinen Genuss (und mir mein wissenschaftliches Leben manchmal doch ein wenig einfacher).

Worum geht’s Der 79-jährige Witwer Narimar lebt mit seinen beiden Stiefkindern zusammen in einer Wohnung, was bereits zu Konflikten führt. Daneben hat er mit Parkinson und seiner Vergangenheit zu kämpfen. Bei einem Spaziergang verletzt er sich und muss die nächsten Wochen im Bett verbringen, womit seine Kinder überfordert sind und ihn zu seiner anderen Tochter „abschieben“. Diese kümmert sich rührend um ihn, muss aber gleichzeitig versuchen, ihre Familie zusammenzuhalten. Besonders ihr Mann hat so seine Probleme mit der neuen Situation, während er auch finanzielle Hürden überwinden muss.

Wie ist’s Absolut fesselnd, die 500 Seiten waren in zwei Tagen gelesen und am Ende habe ich mir sogar richtig Zeit gelassen. Da mir die ein oder andere Träne runterlief, war das aber auch so. Persönlich liebe ich es, den Alltag anderer Menschen zu betreten und in ihn eintauchen zu dürfen (gut, dass ich Ethnologin bin, nicht) und das gelingt in diesem Buch ganz wunderbar. Parsen sind mir eine recht unbekannte Gruppe, die beschriebenen Rituale, welche gleichzeitig in diese „Moderne“ integriert werden müssen, somit sehr spannend. Die einzelnen Charaktere sind hervorragend gezeichnet, man kann sich in sie hineinversetzen, mitfühlen und sich dennoch durch einige Handlungen überraschen lassen.

Besonders spannend war für mich natürlich die Hauptperson Nariman, welche sich durch das Buch hindurch sehr stark verändert und einen guten Einblick in das Leben mit Parkinson und dann mit Bettlägerigkeit und langsamem Dahinschwinden gibt. Absolut schmerzend, aber eben notwendig zu wissen. Das Buch ist aber trotzdem nicht nur düster und schmerzlich, es gibt lustige Momente, kleine Einblicke in den indischen, oft mit Korruption durchzogenen Alltag, welche mich mein Leben dort sehr vermissen lassen und ein schönes Indienbild zeichnen. Auch die beiden kleinen Söhne, welche mit ihrem kranken Großvater umzugehen lernen, sind spannende Charaktere, man will sie einfach drücken. Insgesamt kann man – ohne zu viel zu verraten – sagen, dass hier enorme Wandlungen aller Beteiligten geschehen, die einen Seite um Seite weiterlesen lassen, selbst wenn es mittlerweile 3 Uhr morgens ist.

Absolute Empfehlung, mit das beste Buch, welches ich dieses Jahr gelesen habe und ich ärgere mich noch immer, dass ich es schon seit Jahren im Bücherregal hatte und es schlichtweg vergessen habe. Damals natürlich in Indien kurz vor Abflug gekauft und dann immer zu anderem gegriffen, Schande über mein Haupt! Mehr von Rohinton Mistry werde ich definitiv noch lesen, wer weiß, vielleicht treffe ich ihn ja zufällig bei einer Lesung in Kanada, das wäre was!

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