Nachdem ich 22 Bahnen dieses Jahr nur so verschlungen habe, war ich natürlich enorm auf Windstärke 17 von Caroline Wahl gespannt. Das Tolle an der Bibliothek hier ist, dass sie viele der deutschen Bestseller direkt im Sortiment haben und es nur wenig Menschen gibt, welche diese dann auch lesen wollen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die erste Person war, die dieses Buch aufgeschlagen hat, was es gleich nochmal besonderer macht. Ob meine Vorfreude auf Windstärke 17 berechtigt war, erzähle ich euch jetzt!


Nach dem Tod ihrer alkoholkranken Mutter flüchtet Ida mit wenigen Sachen spontan ans Meer. Wie genau ihr Leben weitergehen soll, weiß sie noch nicht, aber sie weiß, dass sie nicht zu ihrer großen Schwester Tilda ins Familienidyll nach Hamburg flüchten will. Stattdessen braucht sie Wind, der ihr um die Ohren braust und das Meer, in welches sie sich stürzen kann, um schon ihren Morgen mit Naturgewalt und Kampf zu beginnen. Sie endet auf Rügen, lernt zufällig Kneipenbesitzer Knut kennen und findet sich kurzerhand bei ihm und seiner Frau Marianne im ehemaligen Kinderzimmer wieder. Beide scheinen ihren neuen Familienzuwachs zu mögen und bei einer Abendschicht in der „Robbe“ lernt Ida dann Leif kennen, der ebenfalls einige Kampfspuren vom Leben davongetragen hat.

Juhu, das Buch begleitet erneut die mir in „22 Bahnen“ ans Herz gewachsenen Charaktere und somit bin ich sofort wieder komplett in ihre Leben und Entwicklungen investiert. Dieses Mal steht die jüngere Schwester Ida im Vordergrund, die nach dem Tod ihrer Mutter nicht so genau weiß, wie das Leben weitergehen soll. Dass man da einfach mal spontan ans Meer fahren muss, kann ich mir gut vorstellen und ich war einfach nur neugierig, nein gefesselt, wie ihr Leben weitergehen wird.

Mit einer Schreibblockade kämpfend, versucht Ida zunächst, nur im Hier und Jetzt zu leben. Ja nicht an die tote Mama oder ihr altes Leben denken, an ihr nicht wirklich gut laufendes Studium oder andere Probleme aus ihrem vorherigen Leben. Stattdessen lernt sie Marianne, Knut, Leif und das Leben auf der Insel näher kennen, doch hat sie immer wieder Momente, in denen das Verdrängen nicht mehr funktioniert. Caroline Wahl schreibt wunderbar ehrlich, roh, direkt und mit Worten, die in einem Nachhallen und an persönliche Verluste (und deren Verarbeitungsversuche) denken lassen.

Als Leser lernt man, wie das Leben von Ida nach dem Auszug ihrer großen Schwester mit ihrer alkoholkranken Mutter weiterging und was das mit der Psyche eines jungen Menschen macht. Wie schwierig die Mutter-Tochter-, aber auch die Schwester-Schwester-Beziehung gewesen ist und welche Auswirkungen das auf alle hatte. Es geht viel um die Themen Schmerz, Entfremdung, Schuld, Verlust, Liebe und ist in vieler Hinsicht ein recht typischer Coming of Age Roman. Wobei er besonders wird durch das brachiale Sprachtalent, welches Wahl immer wieder an den Tag legt und es einen manchmal in einem Satz, einer Beschreibung komplett gefangen hält. Das Buch wirkt nach..und nach..und nach!

Man fiebert bis zum Ende mit, man hofft, dass es für alle Beteiligten irgendwie ein Happy End gibt und weiß gleichzeitig auch, dass das nicht realistisch sein dürfte und Caroline Wahl nun einmal eine Realistin zu sein scheint. Das Buch war viel zu schnell vorbei, hier hätte ich auch noch 100 weitere Seiten gelesen!