Vor nicht allzu langer Zeit habe ich den Roman Verlassen des marokkanischen Schriftstellers Tahar Ben Jelloun im öffentlichen Bücherschrank entdeckt und ja, das Cover hat mich direkt angesprochen! Das Thema Migration ist für mich sehr bedeutsam und somit war ich neugierig, wie der marokkanische Autor Jelloun, welcher als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb gilt, sich diesem Thema genähert hat.
Worum geht’s
Wir befinden uns in Marokko, genauer gesagt in Tanger im Jahre 1995. Viele Menschen träumen davon, das Land zu verlassen und die spanische Küste, die man bei guten Wetterverhältnissen sogar erkennen kann, zu erreichen. Nur 14km trennen diese zwei Welten, welche für die einzelnen Charaktere kaum unterschiedlichere Zukunftschancen bereithalten könnten. Auf verschiedenen Wegen versuchen sie nun, die „Festung Europa“ zu erreichen, um ein besseres Leben zu bekommen, aber leider scheitern dabei einige auch sehr tragisch bzw kommen in einer spanischen Realität an, die sie nicht erwartet haben.
Wie ist’s
Wahnsinnig gut geschrieben, denn es trifft einen ins Herz. Das ist keine leichte Kost, die einzelnen, teils miteinander verwobenen Schicksale, nehmen einen mit, da kann und will ich nichts beschönigen. Es ist einfach unfair, dass der Geburtstort so entscheidend für das weitere Leben ist und das wird anhand der unterschiedlichen Personen, die der gemeinsame Traum eines besseren Lebens jenseits ihrer Heimat eint, sehr deutlich illustriert.
Verlassen endet nicht mit dem Traum und dem Scheitern der Flucht, sondern begleitet auch Menschen, die es geschafft haben, Nordafrika hinter sich zu lassen. Doch merkt man, dass es den Protagonisten in ihrer neuen „Heimat“ nicht so gut geht, wie sie es sich erträumt haben: Einsamkeit, Isolation, der Verlust der eigenen Persönlichkeit und Fragen der Identität konfrontieren. Viele haben nicht den neuen tollen Job, sondern finden sich in der Illegalität gefangen, in Jobs wie Prostitution, die sie ausüben müssen, während sie gleichzeitig immer die Angst haben, gefunden und abgeschoben zu werden.
Tahar Ben Jelloun hat mit seinen Werken viele Preise gewonnen und wurde u.a. auch für den Literaturnobelpreis nominiert. Was ich vorher nicht wusste, aber seine kraftvolle Sprache fesselt, da sie nichts beschönigt. Sie drückt dahin, wo es weh tut, aber auch dorthin, wo es im Gedächtnis bleibt und noch lange Zeit in einem nachwirkt. Man vergisst diese Geschichten nicht mehr, da bin ich mir sicher. Besonders gut fand ich auch, wie er das Empowerment der Frauen in diesem Buch immer wieder betont, ihnen Handlungsmacht zuschreibt und sie nicht in diesem stereotypen passiven Verhalten zeigt, welches leider oftmals solche Geschichten dominiert.
Definitiv ein Glücksgriff, dass ich dieses Buch im öffentlichen Schrank gefunden habe und ich will mehr von Jelloun lesen. Er hat nämlich auch Sachbücher geschrieben, die sie mit dem Islam beschäftigen und ich bin sehr gespannt, wie sich diese so lesen werden! Aber einen weiteren Roman von ihm würde ich mir natürlich auch sofort schnappen, wenn ich ihn finde!