Da ich online immer wieder über den Roman Everything I never told you von Celeste Ng stolperte, bestellte ich ihn mir schließlich bei der Bibliothek, ohne wirklich viel über die Handlung zu wissen. Celeste Ng ist eine amerikanische Autorin, deren Eltern in den 60er Jahren von Hong Kong in die USA immigriert sind und sie deren und ihre eigenen Erfahrungen bezüglich Rassismus und dem Leben zwischen zwei Kulturen in ihren Romane verarbeitet.
Worum geht’s
Am 3. Mai 1977 verschwindet die mittlere „Vorzeige“-Tochter Lydia aus der nach außen hin perfekt erscheinenden Familie Lee. Diese besteht aus den Eltern Marilyn (einer Amerikanerin) und James (dessen Eltern aus China in die USA gezogen sind), sowie dem älteren Bruder Nathan und der jüngsten Tochter Hannah. Nach einigen Tagen wird die Leiche Lydias aus dem See der idyllischen Kleinstadt in Ohio geborgen, in welchem die Familie ihr Leben aufgebaut hat. Obwohl viel auf einen Selbstmord hindeutet, wollen die Eltern, besonders Marilyn, das nicht glauben und lernen jedoch schnell, dass sie eigentlich nicht viel über den Alltag ihrer Tochter wussten. Alle Familienmitglieder versuchen auf ihre Arten mit der Trauer umzugehen, was dramatische Ausmasse annimmt und die ohnehin schon instabile Familie sehr belastet.
Wie ist’s
Überraschend gut, denn ich hatte mehr einen „was ist passiert/wer ist der Mörder“-Thriller erwartet und bekam eine wunderbar psychologisch tiefe, mehrere Generationen umfassende chinesisch-amerikanische Familiengeschichte, die zeigt, was Dynamiken auslösen können. Das Buch berührt, denn durch die verschiedenen Zeitstränge und Vorgeschichten der Personen fühlt man sich sehr mit ihnen verbunden und leidet einfach mit. Egal, ob James, Marilyn, Nathan, Lydia oder Hannah – ich blieb bei niemandem kalt und hoffte, dass es doch irgendwie noch „gut“ ausgehen könnte.
Der Leser entdeckt verschiedene Geheimnisse innerhalb der Familie und rätselt selbst mit, was wie für Lydias Tod verantwortlich sein könnte und gleichzeitig auch, wer hier eigentlich was wann wusste. Dadurch bleibt der Roman durchgehend spannend und auch die verschiedenen Zeitstränge wirken nicht deplatziert, sondern geben der Geschichte genau die richtigen Hintergrundinformationen, die man als Leser noch benötigt. Ich will nicht zu viel verraten, denn persönlich fand ich es super, ohne viel Vorwissen in die Geschichte einzutauchen.
Das gefühlvoll geschriebene, vielschichtige Buch bricht einem das Herz, anders kann ich es nicht beschreiben, da Lydia ein tragisches, von außen an sie herangetragenes Schicksal ereilte, da sie versuchte, ihren Eltern alle Wünsche zu erfüllen, die diese nie selbst erreichen konnte. Dies gepaart mit den Themen Rassismus, sozialer Angepasstheit, (Gender-)Gleichheit, Familienkonflikten und Erwartungen, verschiedenen Erzählperspektiven und auch den im Leser „wutweckenden“ Momenten machen diesen Roman für mich „rund“.
Dies war das mich sehr beeindruckende Debüt von Celeste Ng und es sind mittlerweile noch zwei weitere Bücher erschienen, die ich definitiv auch einmal lesen werde, denn themenunabhängig mochte ich den atmosphärischen Schreibstil der Autorin sehr. Mein SUB ist aktuell aber einfach zu hoch, somit wird das wohl erst 2024 passieren – was aber ok ist, da ihre Bücher auf den ersten Blick von ihren Settings her sehr ähnlich scheinen.