Der Roman Caravan von Marina Lewycka stand definitiv schon einige Jahre auf meiner Leseliste und umso mehr freute ich mich, als ich ihn im öffentlichen Bücherschrank entdeckte. Ich bleibe dabei, dass ich dieses Konzept der öffentlichen, kostenlosen Bibliotheken, die meist jederzeit zugänglich sind, einfach liebe – und dadurch selbst viel weniger Bücher kaufe und auch horte. Denn eigentlich geht jedes Buch, welches ich in einem öffentlichen Bücherschrank finde, auch wieder dorthin zurück, um noch vielen Leuten eine Freude zu machen. So, jetzt aber zum eigentlichen Thema, wie gefiel mir meine erste Lesebegegnung mit Marina Lewycka?



Worum geht’s

Eine Truppe Erdbeerpflücker wird in Groß-Britannien gnadenlos ausgebeutet und lebt unter alles andere als guten Umständen in zwei Wohnwagen direkt am Feldrand. Die Männer und Frauen aus China, der Ukraine, Polen und Malawi kamen mit großen Zielen und falschen Versprechungen zu dieser Arbeit und arrangieren sich irgendwie mit der Situation. Bis der Bauer bei einem Unfall verletzt wird und sie Hals über Kopf mit dem Wohnwagen fliehen..wohin, das wissen sie auch nicht, aber schlechter kann es ja nicht mehr werden..so beginnt eine turbulente Reise durch das Land und verändert die einzelnen Schicksale nachhaltig, auch das eines Hundes.

Wie ist’s

Definitiv ein gesellschaftskritischer, noch immer sehr aktueller Roman, der jedoch nicht belehrend wirkt, sondern fast nebenbei die teilweise schrecklichen Alltagsrealitäten aufzeigt, die u.a. auf skrupellose, ausbeutende Globalisierungsnebenwirkungen zurückzuführen sind. Persönlich finde ich die Geschichte(n) gut geschrieben, man fühlt mit, kann sich in die einzelnen Personen und ihre Dilemmata hineinversetzen und will wissen, wie es weitergeht. Lediglich de Hund, der eine eigene Stimme bekam, hätte weggelassen werden dürfen, das fand ich etwas mühsam zu lesen so ohne Punkt und Komma (und ich liebe Hunde!).

Grausamkeiten werden sachlich beschrieben, wodurch sie fast noch schlimmer wirken und die Momente in der Halle der Hühnermassenzucht hallen nachhaltig nach. Wäre ich nicht schon Vegetarier, spätestens hier hätte ich aufgehört, Tiere zu essen. Dabei wird gar keine überdramatisierende Sprache benutzt, sondern die Realität alleine reicht, dass einem übel wird. Viele Szenen wirken sehr real, als wären sie persönlich erlebt worden und die Autorin wuchs selbst als Tochter ukrainischer Einwanderer in Deutschland und Groß-Britannien auf und hat die einzelnen Momente vielleicht nicht am eigenen Leib erlebt, aber doch erzählt bekommen. Man lernt in scheinbar banalen Nebensätzen viel über die Situationen, aus denen die unterschiedlichen Menschen fliehen mussten und wie unterschiedlich ihre Meinungen über diese Missstände und Probleme in ihrer Heimat sind.

Was ich etwas unnötig fand, war die „Liebesgeschichte“ und die vielen sexuellen Beschreibungen und Anspielungen, die einfach langweilig waren, da sie nichts zur Story beitrugen. Ja, bisschen Coming of Age in der Fremde und ein bisschen mehr Realität als Traumprinz, aber das hätte abgekürzt werden dürfen. Ich muss nicht unbedingt bei allen sexuellen Erfahrungen und Gedanken aller Personen dabei sein, interessant fand ich hier nur unseren Jungen aus Malawi, der sehr katholisch erzogen wurde und sich von der „Fleischerslust“ fernhalten wollte..und niemand verstand, was er da mit den Fleischern für ein Problem hat. So, das war es dann aber auch mit meinem Meckern.


Marina Lewycka wird in meinen Augen zu recht für ihren Schreibstil und ihre realen Geschichten gefeiert und ich bin froh, endlich selbst etwas von ihr gelesen zu haben. Das Buch wird etwas in mir nachhallen, was die Alltagsrealitäten vieler Gastarbeiter in der EU betrifft und somit empfehle ich es auch weiter. Keine seichte, gute-Laune-Lektüre, wobei man durchaus auch lachen wird, nur mit etwas zu viel konstruierter Liebesgeschichte und in Großbuchstaben geschriebenen Hundegedanken. Ich habe noch die kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch von ihr auf meinem Lesestapel und freue mich schon darauf – werde jetzt aber erst einmal eine Pause machen und ein paar thematisch ganz weit entfernte Romane lesen 🙂

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