Kategorie: Lesen

[Lesenswert] Remarkably Bright Creatures von Shelby van Pelt!

Als ich das Buch aus der Bibliothek abholte, war ich kurz sehr vom Cover irritiert, da ich einen orangenen Oktopus und kein rotes Dalapferd erwartete. Aber natürlich nahm ich – Titel und Autorin passten ja – Remarkably Bright Creatures von Shelby van Pelt (dt. Titel: Das Glück hat acht Arme) trotzdem mit, denn ich war enorm neugierig auf dieses so oft empfohlene und gut bewertete Buch über Einsamkeit!



Die 70-jährige Tova putzt nach dem Tod ihres Mannes Will nachts das Aquarium in Sowell Bay, da sie aktiv bleiben will. Dort lebt auch Marcellus, ein pazifischer Riesenoktopus, welcher enorm intelligent ist und in seinem Becken leider einsam und unstimuliert seine Tage verbringt. Er beobachtet lediglich die Menschen, die ihn besuchen und findet somit alles möglich über diese Spezies heraus. Nachts jedoch begibt sich Marcellus ganz gerne mal auf Erkundungstour und fängt nach einem Vorfall an, sich langsam mit Tova anzufreunden, welche ihm von ihrem Leben zu erzählen beginnt. Besonders von dem tragischen Verschwinden ihres Sohnes, welcher mit 18 Jahren nicht mehr von einem Bootsausflug zurückkam..

Umschrieben wird das Buch von der Washington Post als „Wohlfühlroman, der im Kopf bleibt“ und das trifft es ziemlich gut. Denn auch wenn die Themen Einsamkeit, Verlust und Älterwerden im Vordergrund stehen, so gibt einem die wunderbare Freundschaft zwischen Tova und Marcellus gleichzeitig Leichtigkeit, gute Laune und den Glauben an das Gute zurück. Geschrieben wird das Buch aus unterschiedlichen Perspektiven und Marcellus kommt in tagebuchartigen Einträgen selbst zu Wort, was ich herrlich finde! Persönlich bin ich riesiger Oktopusfan und höre die Welt gerne aus ihrer Perspektive, wobei Marcellus wunderbar sarkastisch-humorvolle Observationen anstellt. Davon hätte es gerne noch mehr über das Buch verteilt geben dürfen!

Die anderen Hauptcharaktere, also Tova, Cameron und Ethan (Betreiber des einzigen Supermarktes in der Stadt, welcher Tova sehr mag), sind ebenfalls besondere Menschen mit Ecken und Kanten, die sehr durch ihre nicht unbedingt harmonische Vergangenheit geprägt sind. Während Tova den ungeklärten Tod ihres jungen Sohnes nie wirklich überwinden konnte, so war für den verdammt intelligenten Cameron (er putzt als Tovas Vertretung im Aquarium, nachdem sie sich verletzt hat) seine drogenabhängige Mutter und sein nie dagewesener Vater entscheidend für sein weiteres Leben. Marcellus bemerkt aus seinem Aquarium schnell, dass da ein Geheimnis zwischen dem neu angekommenen Cameron und seiner Tova zu geben scheint, welches er aufklären muss, da wir Menschen einfach nicht intelligent dafür sind 😉

Zu Beginn entwickelt sich die Geschichte recht langsam und man versteht nicht immer, wieso man etwas über eine Person lernt. Doch der Schreibstil ist angenehm, lässt sich flüssig lesen und wird durch die aus der Ich-Perspektive geschriebenen Marcellus-Kapitel immer wieder aufgelockert. Wodurch ich einfach weiterlesen wollte und das Buch dann an zwei Abenden durchgelesen hatte. Denn ich musste einfach wissen, wie es mit Tova, Cameron, Ethan und besonders natürlich Marcellus ausgeht. Es wurde ein bisschen traurig, aber auch das gehört zum Leben und somit ist es für mich trotzdem ein Buch, welches ein wenig ans Herz geht, aber einen mit einem warmen Gefühl zurücklässt. Achja, über das rote, dreibeinige Dalapferd auf dem Cover, welches aus Schweden stammt und zu Tovas Vergangenheit gehört, wird man auch aufgeklärt, aber ganz ehrlich, Marcellus gehört auf das Cover!


Habt ihr das Buch zufällig auch gelesen und seid ähnlich angetan? Es ist das Debut von Shelby van Pelt und dafür finde ich es wirklich hervorragend. Aber gut, alles, was einem Oktopus eine Stimme verleiht, bekommt von mir schon Pluspunkte 😉 Hier sind aber auch die anderen Charaktere spannend und besonders, wodurch ich am Ende einfach gerne selbst mal nach Sowell Bay fahren und dort aufs Meer starren würde!

[Lesenswert] Echtzeitalter von Tonio Schachinger!

Auf der Frankfurt Buchmesse im letzten Jahr kam man ständig in Kontakt mit dem Gewinner des Deutschen Buchpreises 2023, nämlich Echtzeitalter von Tonio Schachinger und somit wollte ich diesen Roman natürlich auch lesen. Dass es eine in Wien spielende Coming-of-Age Story ist, welche sich um das Thema Computerspiele spielt, war dann zum Glück auch noch nach meinem Geschmack!


Worum geht’s

Till schlägt sich auf dem Wiener Eliteinternat mit seinem strengen Klassenlehrer herum, welcher seine Schüler auf eigensinnige Weise für die klassische Literatur zu begeistern versucht und bei einem Mangel daran vor Strafen nicht zurückschreckt. Auch zuhause ist es nicht einfach, hat der Jugendliche seinen Vater verloren und eine Mutter, mit der er sich nicht wirklich zu verbinden weiß. Aber zum Glück gibt es das Computerspiel Age of Empires 2, welches ihn aus seiner Realität entführen kann und in welchem er schnell berühmt und sogar der jüngste Top 10-Spieler der Welt wird.

Wie ist’s

Vom ersten Satz an war Echtzeitalter ein absoluter Lesegenuss voller Wortwitz, der mich in seinen Bann gezogen hat. Dabei ist die Geschichte vom Erwachsen werden nichts neues, dank dem Computerspiel-Element allerdings doch mit einer weiteren, spannenden Ebene verknüpft (wobei ich da letztes Jahr auch schon Tomorrow, Tomorrow, and Tomorrow gelesen habe). Wir bekommen hier Eltern-Kind- sowie Lehrer-Schüler-Beziehungen, Freundschaft, Liebe, Trauer und Wut, gemischt mit lustigen Abhandlungen über die deutsche und die österreichische Sprache sowie ein paar in Österreich geschehene Skandale in Politik und Wirtschaft serviert. Teilweise ist es ganz schön banal und es hätte für mich auch ein bisschen weniger Schulsystem am privilegierten Eliteinternat sein dürfen, aber durch die gewählte Sprache macht es trotzdem Spaß weiterzulesen.

Ein Schwerpunkt liegt ganz klar auf dem Spiel Age of Empires 2, welches ich zwar nicht selbst gespielt habe, aber genug Leute in meinem Freundeskreis zockten es. Wodurch ich einiges erinnern, verstehen und nachvollziehen konnte, aber es trotzdem sehr interessant beschrieben fand, wie man aus dem heimischen Kinderzimmer so erfolgreich in der Gamingszene werden kann. Dabei wird Till immer wieder sehr sympathisch und teilweise auch ganz schön reif für sein Alter beschrieben und als Leser hat man Freude daran, mit ihm in diese für ihn so friedliche Welt abzutauchen.

Es gelang mir als Leser geradezu spielend, eine Verbindung zu Till aufzubauen und somit Anteilnahme an seinem Leben haben zu wollen. Was sich darin ausdrückt, dass ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen habe und einfach wissen wollte, wie es ausgeht. Wird er glücklich werden bzw wie sieht Glück für ihn überhaupt aus? Und welchen Teil wird E-Sport in seinem Leben einnehmen, wenn er der Schule und seinem etwas drakonischen Lehrer entfliehen kann?


Auch ohne Buchpreis hätte ich diesen Roman bestimmt irgendwann einmal zur Hand genommen und bereue die Lektüre absolut nicht. Ich wurde gut unterhalten, musste häufiger lachen, fand die Age of Empire 2 Teile spannend und hätte mir nur etwas weniger Schulsystem und dafür vielleicht noch ein bisschen mehr Tiefe in den Freundschaftsbeschreibungen gewünscht.

[Lesenswert] ABC-Lesechallenge 2023 – Endstand!

Wie schon die letzten Jahre hatte ich mir auch dieses Jahr wieder vorgenommen, mich einmal durchs Alphabet zu lesen und was soll ich sagen,

ich habe es zum allerersten Mal geschafft!

Bisher scheiterte ich jedes Mal an den „schwierigen“ Buchstaben wie Q und X, aber mit Hilfe einer fantastischen Bibliothek hat es dieses Jahr endlich funktioniert. Ebenso habe ich seeeeehr viele Bücher gelesen, was mich freut und mich auch für 2024 schon motiviert, dies beizubehalten! Schauen wir uns jetzt mal im Detail mein Lesejahr 2023 an!


Endstand: 26 von 26 Buchstaben „gelesen“


Age of Vice – Deepti Kapoor (klick)

A Little Life – Hanya Yanagihara (klick)

Alle singen im Chor – Leena Lehtolainen (klick)

Architect’s Apprentice, The – Elif Shafak (klick)

Are you happy now – Hanna Jameson (klick)

Ashes – Álvaro Ortiz (klick)

_____________________________________

Babel – Rebecca F. Kuang (klick)

Before the coffee gets cold – Toshikazu Kawaguchi (klick)

Before the coffee gets cold. Tales from the cafe – Toshikazu Kawaguchi (klick)

Before we say goodbye – Toshikazu Kawaguchi (klick)

Before your memory fades – Toshikazu Kawaguchi (klick)

Billy Summers – Stephen King (klick)

Bunny – Mona Awad (klick)

_____________________________________

Celsius – Marc Elsberg (klick)

Circe – Madeleine Miller (klick)

Cleopatra and Frankenstein – Coco Mellors (klick)

_____________________________________

Daisy Jones & The Six – Taylor Jenkins Reid (klick)

Daughter of Doctor Moreau – Silvia Moreno-Garcia (klick)

Dear Edward – Ann Napolitano (klick)

Diplomatin, Die – Lucy Fricke (klick)

Drift, The – C. J. Tudor (klick)

_____________________________________

Einladung, Die – Sebastian Fitzek (klick)

Everything I never told you – Celeste Ng (klick)

Exile, The – Erik Kriek (klick)

_____________________________________

Fourth Wing – Rebecca Yarros (klick)

_____________________________________

Geronimo – Leon de Winter (klick)

Girl in Pieces – Kathleen Glasgow (klick)

Global – Eoin Colfer & Andrew Donkin (klick)

Gnadenlos – Simon Kernick (klick)

Golden Boy – Mikael Ross (klick)

Golden Son – Pierce Brown (klick)

große Los, Das – Meike Winnemuth (klick)

_____________________________________

Happy Place – Emily Henry (klick)

Heart Bones – Colleen Hoover (klick)

Home Body – Rupi Kaur (klick)

Honour – Elif Shafak (klick)

_____________________________________

Iron Flame – Rebecca Yarros (klick)

Island of missing trees, The – Elif Shafak (klick)

_____________________________________

Janosch erzählt Grimm’s Märchen – Janosch (klick)

_____________________________________

Keya Das’s Second Act – Sopan Deb (klick)

Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch – Marina Lewycka (klick)

_____________________________________

Lapnova – Ottessa Moshfegh (klick)

Last house before the mountain – Monika Helfer (klick)

Lemonas Geschichte – Ken Saro-Wiwa (klick)

Liebe an miesen Tagen, Die – Ewald Arenz (klick)

Long Road to Mercy – David Baldacci (klick)

Lucy by the sea – Elizabeth Strout (klick)

_____________________________________

Malibu Rising – Taylor Jenkins Reid (klick)

Melody – Martin Suter (klick)

Ministry of Utmost Happiness, The – Arundhati Roy (klick)

Mittagsstunde, Die – Dörte Hansen (klick)

Mit zwanzig hat man kein Kleid für eine Beerdigung – Valentina D’Urbano (klick)

Morning Star – Pierce Brown (klick)

_____________________________________

Nächsten Sommer – Edgar Rai (klick)

No country for eight-spot butterflies – Julian Aguon (klick)

_____________________________________

Old Babes in the Wood – Margaret Atwood (klick)

One True Loves – Taylor Jenkins Reid (klick)

Only One Left, The – Riley Sager (klick)

_____________________________________

Pachinko – Min Jin Lee (klick)

Pandora – Susan Stokes-Chapman (klick)

Paris Apartment, The – Lucy Foley (klick)

People we meet on vacation – Emily Henry (klick)

Pfau, Der – Isabel Bogdan (klick)

Planetenwanderer – George R.R. Martin (klick)

Pocket Matti – Karoliina Korhonen (klick)

Project Hail Mary – Andy Weir (klick)

_____________________________________

Queer: A Collection of LGBTQ Writing – Frank Wynne (klick)

_____________________________________

Red Rising – Pierce Brown (klick)

Refugees, The – Viet Thanh Nguyen (klick)

_____________________________________

Schattenbucht, Die – Eric Berg (klick)

Seven Husbands of Evelyn Hugo, The – Taylor Jenkins Reid (klick)

Secret History, The – Donna Tartt (klick)

Seven Moons of Maali Almeida, The – Shehan Karunatilaka (klick)

Small things like these – Claire Keegan (klick)

Song of Achilles, The – Madeline Miller (klick)

Spell of Good Things, A – Ayobami Adebayo (klick)

Stay with me – Ayobami Adebayo (klick)

Sterntaler – Kristina Ohlsson (klick)

Sucher, Der – Tana French (klick)

Sympathizer, The – Viet Thanh Nguyen (klick)

_____________________________________

Ten Minutes 38 Seconds in this strange World – Elif Shafak (klick)

Tomorrow, and Tomorrow, and Tomorrow – Gabrielle Zevin (klick)

_____________________________________

Uskomatonta! Krokotiilit – Alain M. Bergeron, Michel Quintin & Sampar

_____________________________________

Velvet was the night – Silvia Moreno-Garcia (klick)

_____________________________________

Wahala – Nikki May (klick)

Wenn ich groß bin…halte ich mir auch einen Flüchtling – Monika Liegl (klick)

What you are looking for is in the library – Michiko Aoyama (klick)

Whole Truth, The – David Baldacci (klick)

Win every argument – Mehdi Hasan (klick)

Writers & Lovers – Lily King (klick)

_____________________________________

X – Sue Crafton (gibt es interessanterweise nicht bei Amazon)

_____________________________________

Yellowface – R.F. Kuang (klick)

_____________________________________

Zur See – Dörte Hansen (klick)

Zwischen Welten – Juli Zeh & Simon Urban (klick)


Insgesamt habe ich dieses Jahr 93 Bücher gelesen, was mich sehr freut, da ich damit doch schon fast an der Dreistelligkeit kratze. Dabei habe ich eine wirklich bunte Mischung gelesen, die aus meinem Bücherregal, öffentlichen Bücherschränken und natürlich der öffentlichen Bibliothek in Oulu bestand. Letztere hatte überraschenderweise viele aktuelle deutschsprachige Bücher und niemanden außer mir, der sie ausleihen wollte, eine tolle Kombination 😉

Bei einigen Anfangsbuchstaben sammeln sich bei mir doch viele Werke, z.b. A, B, P, S und W bieten da viel Auswahl. Bei anderen war es nicht so einfach etwas zu finden und wenn, war das Buch jetzt auch nicht unbedingt der größte Lesegenuss (z.b. X). Aber ein Buch abbrechen, wollte ich dann doch nie, so schlecht war es dann auch nicht.

Rückblickend habe ich auch dank Instagram und YT einige spannende Bücher und Autoren entdeckt, aber auch ein bisschen viel Young Adult-Romane gelesen, was einfach nicht mehr meines ist. Wäre ich nochmal in dem Alter, würde ich die Bücher bestimmt lieben, aber mit 38 sind sie dann nicht mehr unbedingt so fesselnd.

Eigentlich wollte ich hier noch meine Top 3 von 2023 ranken, aber ganz ehrlich, es fällt mir wahnsinnig schwer! Elif Shafak und Dörte Hansen waren ein sehr besonderer Lesegenuss, welcher einen mitnimmt und nachwirkt, aber auch Hanya Yanagihara hat mich lange beschäftigt und in den sanften Schreibstil von Elizabeth Strout habe ich mich ein wenig verliebt. Taylor Jenkins Reid und Toshikazu Kawaguchi habe ich nur so runtergelesen, was perfekt für lange Zugreisen war, denn man kurzzeitig in einer neuen Welt. Die Begeisterung für Emily Henry und Colleen Hoover kann ich nicht so ganz nachvollziehen und was ich von Ottessa Moshfegh halte, weiß ich noch nicht ganz. Nach Lapvona will ich erst noch ein weiteres Werk von ihr lesen.

Besonders ans Herz legen will ich euch noch den Roman Pachinko von Min Jin Lee, welcher mich in eine komplett andere, faszinierende Welt geführt und mich von der ersten Seite an gefesselt hat. Wir folgen mutigen Frauen, die von Korea aus nach Japan ziehen müssen und ihr Leben an diesem fremden und oft ihnen feindlich gesinnten neuen Umfeld bestreiten sollen. Da ich diesen Teil der koreanisch-japanischen Geschichte nicht wirklich gut kannte, habe ich sehr viel neues gelernt und während des Lesens auch immer wieder recherchieren müssen. Absolut lesenswert!


Wie war euer Lesejahr 2023? Habt ihr neue Autoren entdeckt, die ihr nur so verschlungen habt? Gab es positive/negative Überraschungen? Könnt ihr eure Top 3 wählen? 🙂

[Lesenswert] Small Things like These von Claire Keegan!

Von Claire Keegan hatte ich zwar schon häufiger gehört, aber bisher nie ein Buch der irischen Schriftstellerin in der Hand gehalten. Das hat sich jetzt aber zum Glück geändert und ich das recht dünne Werk Small Things like These von Claire Keegan in einem Rutsch durchgelesen! Darüber will ich euch nun etwas mehr erzählen, denn manchmal können einen auch wenige Seiten lange zum Nachdenken bringen 🙂


Das Buch spielt im Jahre 1985, kurz vor Weihnachten, in einer irischen Stadt und folgt dem Alltag von Bill Furlong. Dieser ist verheiratet, hat einige Kinder und ist dafür zuständig, dass alle Menschen mit genug Kohle versorgt sind. Bei einer seiner Lieferung an das hiesige Kloster sieht er mit eigenen Augen, was dort mit unehelich schwangeren Mädchen geschieht und muss für sich selbst eine Entscheidung treffen.

Zu Beginn war ich etwas verwirrt, was eigentlich passiert, da immer wieder Bills Vergangenheit thematisiert wird, aber eben nicht allzu klar, sondern in reduzierter Form. Wir lernen, dass er ohne Vater aufgewachsen ist, was zu seiner Zeit sehr verpönt war. Doch ist das Buch so fesselnd geschrieben, dass man sich davon nicht abhalten lässt und weiter liest. Wir lernen nach und nach, wie die irische Gesellschaft von katholischen Glaubens- und Moralvorstellungen zu dieser Zeit dominiert wurde und welche Auswirkungen dies hat. Besonders Leidtragende sind hierbei Frauen, die unehelich schwanger geworden sind.

Diese schwangeren Frauen mussten nämlich in von der katholischen Kirche geführten „Mother and Baby Homes“ bis zur Geburt leben und arbeiten. Dabei wurden sie alles andere als gut von den Nonnen behandelt, gleichzeitig ausgebeutet und ihnen oftmals am Ende noch ihr neugeborenes Baby abgenommen. Dieses wurde dann ohne ihr Einverständnis zur Adoption freigegeben. Ein absolut schreckliches, vor nicht allzu lang geschehenes Kapitel der irischen Geschichte, welches heute zum Glück weiter aufgearbeitet wird. Laut Google wurde das letzte Heim erst 1998 geschlossen, stellt euch das mal vor.

Da ich allgemein bisher wenig über die irische Geschichte gelernt habe, war auch dieses Thema Neuland für mich. Definitiv nicht überraschend, aber ich wusste nicht, dass es solche schlimmen Einrichtungen unter dem Deckmantel des Schutzes gab. Claire Keegan haut einem dies auch nicht sofort ins Gesicht, sondern lässt es den Leser gemeinsam mit Bill entdecken, welcher es zwar eigentlich schon weiß – wie der Rest der Stadtbewohner – es aber doch nie mit eigenen Augen gesehen hat. Nachdem dies geschehen war, wird es zu einem persönlichen Thema für ihn mit seiner eigenen Vergangenheit und er muss sich der Frage stellen, ob er wie der Rest der Bevölkerung schweigend weg sehen kann oder etwas unternehmen will.


Ein sehr atmosphärisches, für mich in den Winter passendes, wunderbar geschriebenes Buch mit einem Thema, welches einen auch nach der Lektüre nicht loslässt. Stattdessen sucht man nach Zeitungsartikeln und schaut sich noch 1-2 Dokus dazu an. Claire Keegan hat hier für mich genau die richtigen Dinge vereint: wahre, für mich neue und interessante Begebenheit + fesselnden Schreibstil! Ich will unbedingt noch mehr von ihr lesen und kann euch Small Things like These ans Herz legen, denn mir hat es insgesamt sehr gut gefallen, wobei es auch gerne noch etwas länger hätte sein dürfen.

[Lesenswert] The Seven Moons of Maali Almeida von Shehan Karunatilaka!

Ich muss gestehen, dass ich The Seven Moons of Maali Almeida von Shehan Karunatilaka zunächst einmal aufgrund seines Covers in die Hand genommen habe und dann erst merkte, was ich da vor mir hatte! Dass es den Booker Prize 2022 gewonnen hat, ist nämlich schon mal eine ziemliche Aussage und machte mich somit noch neugieriger. Ich überflog die Zusammenfassung und wusste schon, was ich noch an diesem Abend zu lesen beginnen werde!


Worum geht’s

Die Sieben Monde des Maali Almeida spielt in Colombo, Sri Lanka zu Beginn der 90er Jahre. Maali Almeida erwacht in einer Art Wartehalle im Jenseits und fragt sich nach einem kurzen Schock, wie er denn bitte gestorben sei. Als notorischer Zocker und Kriegsfotograf, welcher sensible Bilder knipste, ist die Liste an Verdächtigen, die ihn ermordet und seine Leiche zerstückelt im See versenkt haben, gar nicht so kurz. Maali bleiben sieben Monde Zeit, dies aufzuklären, während er verzweifelt versucht, mit seinen Hinterbliebenen Kontakt aufzunehmen und diese Zwischenwelt mit Dämonen, in welcher er sich befindet, zu verstehen.

Wie ist’s

Persönlich lese ich sehr gerne Werke aus dem Magischen Realismus und dies in Kombination mit einer spannenden Kriminalgeschichte und dem noch interessanteren Setting Sri Lanka während des Bürgerkrieges und politischen Dramas in den 90er Jahren ist absolute phänomenal! Denn diese wirklichen schlimme Zeit wird hier genutzt, um zu zeigen, wie sich Individuen in ihr verhalten haben, ob positiv oder negativ und dem Bild einfach mehr Nuancen zu geben. Bei dem während all des politischen Chaos und menschlichen Leidens aber eben auch Humor und Liebe im alltäglichen Leben nicht fehlen dürfen – selbst wenn dieser Alltag in der Hölle zu sein scheint.

Maali, aber auch die anderen wichtigen Charaktere (wie seine „Tarnfreundin“ oder sein Mitbewohner, in welchen er ewig verliebt war und dieser irgendwie auch in ihn) in diesem Buch, werden einem nicht unbedingt sympathisch, da sie ihre Ecken und Kanten haben, aber dadurch erscheinen sie eben sehr real. Man kann nachvollziehen, wieso jemand wie handelt, da es stimmig ist und auch die Geisterwelt, die eine Rolle spielt, wird wunderbar entworfen. Man fühlt mit, man hat teilweise Angst umzublättern und zu lesen, was passiert, aber genau das will ich von einem Buch. Hier war mir kein Schicksal gleichgültig und ich kämpfte mit den Personen mit, wenn es moralisch darum ging, was gut, was schlecht und was nun ihr weiteres Handeln sein wird.

Shehan Karunatilaka schreibt mit einer so subtilen Wortgewalt, dass einzelne Sätze enorm lange in mir nachhallten. Nicht nur, weil sie wunderschön, oft geradezu poetisch, formuliert sind, sondern weil sie unfassbare Grausamkeit in sich bergen. Diese Mischung ist fordernd, keine Frage, macht für mich aber ein Buch aus, welches ich erneut lesen würde, weil ich so viel dabei empfunden habe.

Aber ich habe auch sehr viel gelernt, denn während ich schon Massen an indischen Autoren gelesen habe, war Sri Lanka mir noch etwas fremd. Klar, die historischen und politischen Gegebenheiten kenne ich dank meines Studiums, aber hier bekommt man einen viel tieferen Eindruck in die damalige Zeit, der einem nahe geht. Da will ich in Zukunft definitiv noch mehr Autoren lesen und auch alles, was Shehan Karunatilaka noch so erschaffen wird – Chinaman ist schon auf meiner Amazonwunschliste 😉


Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung für dieses fulminante Buch, welches einen auf ganz besondere Art zu einem schrecklichen Zeitpunkt in der Geschichte Sri Lankas transportiert und mit vielen schmerzhaften Fragen konfrontiert. Dies aber durch die Magie, die spannenden Alltagseinblicke aus verschiedenen Perspektiven und den Humor, sowie den grandiosen Schreibstil von Shehan trotz allem zu einer ganz besonderen Erfahrung macht, die ich in meinem Leben nicht missen mag. Ein Buch, für welches ich auf meinen aus allen Nähten platzenden Bücherregalen Platz machen würde, denn ja, zu diesem Werk will ich eines Tages zurückkehren und es erneut genießen!

[Lesenswert] Everything I never told you von Celeste Ng!

Da ich online immer wieder über den Roman Everything I never told you von Celeste Ng stolperte, bestellte ich ihn mir schließlich bei der Bibliothek, ohne wirklich viel über die Handlung zu wissen. Celeste Ng ist eine amerikanische Autorin, deren Eltern in den 60er Jahren von Hong Kong in die USA immigriert sind und sie deren und ihre eigenen Erfahrungen bezüglich Rassismus und dem Leben zwischen zwei Kulturen in ihren Romane verarbeitet.


Am 3. Mai 1977 verschwindet die mittlere „Vorzeige“-Tochter Lydia aus der nach außen hin perfekt erscheinenden Familie Lee. Diese besteht aus den Eltern Marilyn (einer Amerikanerin) und James (dessen Eltern aus China in die USA gezogen sind), sowie dem älteren Bruder Nathan und der jüngsten Tochter Hannah. Nach einigen Tagen wird die Leiche Lydias aus dem See der idyllischen Kleinstadt in Ohio geborgen, in welchem die Familie ihr Leben aufgebaut hat. Obwohl viel auf einen Selbstmord hindeutet, wollen die Eltern, besonders Marilyn, das nicht glauben und lernen jedoch schnell, dass sie eigentlich nicht viel über den Alltag ihrer Tochter wussten. Alle Familienmitglieder versuchen auf ihre Arten mit der Trauer umzugehen, was dramatische Ausmasse annimmt und die ohnehin schon instabile Familie sehr belastet.

Überraschend gut, denn ich hatte mehr einen „was ist passiert/wer ist der Mörder“-Thriller erwartet und bekam eine wunderbar psychologisch tiefe, mehrere Generationen umfassende chinesisch-amerikanische Familiengeschichte, die zeigt, was Dynamiken auslösen können. Das Buch berührt, denn durch die verschiedenen Zeitstränge und Vorgeschichten der Personen fühlt man sich sehr mit ihnen verbunden und leidet einfach mit. Egal, ob James, Marilyn, Nathan, Lydia oder Hannah – ich blieb bei niemandem kalt und hoffte, dass es doch irgendwie noch „gut“ ausgehen könnte.

Der Leser entdeckt verschiedene Geheimnisse innerhalb der Familie und rätselt selbst mit, was wie für Lydias Tod verantwortlich sein könnte und gleichzeitig auch, wer hier eigentlich was wann wusste. Dadurch bleibt der Roman durchgehend spannend und auch die verschiedenen Zeitstränge wirken nicht deplatziert, sondern geben der Geschichte genau die richtigen Hintergrundinformationen, die man als Leser noch benötigt. Ich will nicht zu viel verraten, denn persönlich fand ich es super, ohne viel Vorwissen in die Geschichte einzutauchen.

Das gefühlvoll geschriebene, vielschichtige Buch bricht einem das Herz, anders kann ich es nicht beschreiben, da Lydia ein tragisches, von außen an sie herangetragenes Schicksal ereilte, da sie versuchte, ihren Eltern alle Wünsche zu erfüllen, die diese nie selbst erreichen konnte. Dies gepaart mit den Themen Rassismus, sozialer Angepasstheit, (Gender-)Gleichheit, Familienkonflikten und Erwartungen, verschiedenen Erzählperspektiven und auch den im Leser „wutweckenden“ Momenten machen diesen Roman für mich „rund“.


Dies war das mich sehr beeindruckende Debüt von Celeste Ng und es sind mittlerweile noch zwei weitere Bücher erschienen, die ich definitiv auch einmal lesen werde, denn themenunabhängig mochte ich den atmosphärischen Schreibstil der Autorin sehr. Mein SUB ist aktuell aber einfach zu hoch, somit wird das wohl erst 2024 passieren – was aber ok ist, da ihre Bücher auf den ersten Blick von ihren Settings her sehr ähnlich scheinen.

[Lesenswert] No Country for eight-spot butterflies von Julian Aguon

Über No coutry for eight-spot butterflies von Julian Aguon bin ich beim Stöbern in der Bibliothek gestolpert und war sofort sehr neugierig! Der Anwalt für (indigene) Menschenrechte und Klimaaktivist bringt hier ein wortgewaltiges „lyric essay“ heraus, welches eine Mischung aus Memoiren und Manifest ist. Was schon spannend genug ist, aber als ich dann sah, dass Arundhati Roy ein Vorwort geschrieben hat, war ich vollkommen überzeugt.


In seinen wortgewaltigen Essays, Reden und Gedichten behandelt Julian Aguon verschiedenste Themen rund um Klimaschutz und die Rechte indigener Menschen, also Widerstand, Gerechtigkeit, Freiheit, Resilienz, kollektives Bewusstsein, traditionelles Wissen, (problematische, „moderne“) Veränderungen, die koloniale Unterdrückung und so viel mehr. Dabei greift er immer wieder auf seine eigene Kindheit/Jugend zurück und bringt dem Leser die Insel Guam (Chamorro Guahan), ihre Bewohner und Geschichten so auf verschiedensten, manchmal sehr schmerzhaften Wegen näher.


Für mich als Ethnologin, die viel während ihres Studiums mit Ozeanien zu tun hatte, einfach nur ein Fest! Die Essays sind so atmosphärisch dicht, intelligent und trotzdem oder gerade deswegen so wunderbar poetisch geschrieben, die Gedichte passen hervorragend und das gesamte (leider viel zu dünne Buch) hat mich in seinen Bann gezogen. Sehr oft musste ich die einzelnen Geschichten erst einmal in mir wirken lassen und ständig wieder etwas im Internet recherchieren, was ich noch nicht kannte. Wie besagten Schmetterling zum Beispiel, der im Titel zu finden ist.

So sehr Julian Aguon auch Probleme anmahnt, gibt er dem Leser und den Bewohnern Guams auch Hoffnung, indem er aufzeigt, was sich schon alles im Bereich Klima- und Menschenrechtsschutz getan hat. Es gibt Widerstand und Aguon hilft mit diesem Buch, die Welt Guams an die unterschiedlichsten Orte zu tragen, sodass sich Menschen vernetzen und gemeinsam gegen Ungerechtigkeiten „kämpfen“ können.

Da ich seinen Schreibstil als sehr stark und unerschrocken empfand, wollte ich Aguon auch unbedingt einmal sprechen sehen und verlinke euch mal ein sehr spannendes Video. So könnt ihr euch selbst einen ersten Eindruck machen und habt danach vielleicht auch Interesse daran mehr von diesem so sympathischen Menschen zu hören und zu lesen!



Ein Buch, welches definitiv kein reiner Unterhaltungsroman ist, sondern sehr viel mehr Mitarbeit von seinem Leser fordert. Also nichts für zwischendurch, wobei ich wirklich versuchte habe, immer nur 1-2 Essays zu lesen, diese zu verarbeiten und gleichzeitig unbekannte Dinge zu recherchieren. Somit habe ich trotz der recht geringen Seitenanzahl bestimmt zwei Wochen mit Aguons Worten verbracht – doch hallen sie auch fast sechs Monate später noch immer in mir nach und wecken nach wie vor den Wunsch, mich selbst „mehr“ zu engagieren!

[Lesenswert] Die Einladung von Sebastian Fitzek!

Nachdem ich auf der Frankfurter Buchmesse die lange Schlange bei „Meet the Author“ bewunderte, wurde es Zeit, dass ich mal wieder etwas von dem Mann lese, der sie verursachte. So kam der gerade erst im Oktober erschienene Psychothriller Die Einladung von Sebastian Fitzek zu mir und oh, der Einband ist grandios! Man kriegt mich einfach mit farbigen Seitenrändern und wenn sie dann noch schwarz sind, bin ich hin und weg – aber es kommt natürlich auf die inneren Werte an, somit werfen wir uns in meine Kurzrezension!



Worum geht’s

Marla folgt der Einladung zu einem ehemaligen Klassentreffen in die Alpen, genauer gesagt zu einem sehr abgeschieden gelegenen Berghof. Eigentlich wollte sie nicht, aber eine handschriftliche Notiz informierte sie, dass auch ihr ehemaliger Freund/Schwarm kommen wird, welchen sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat.

Bei ihrer Ankunft am Hof ist sie verwirrt, denn obwohl die Zimmer mit Kleidung und persönlichen Sachen belegt sind, sind ihre Klassenkameraden nicht da – irgendetwas scheint hier so gar nicht mit rechten Dingen abzulaufen. Einfach umzukehren, ist allerdings keine Option, denn draußen ist es mittlerweile dunkel und ein Schneesturm beginnt zu toben..Marla muss versuchen, die Nacht auf der Hütte zu überstehen.

Wie ist’s

Das Buch beginnt mit einer Vorgeschichte, da Marla direkt vor ihrer Abireise eine schreckliche Erfahrung machen musste und auch ihr Vater, der sich umbrachte als sie jünger war, wird beleuchtet. Was mich zunächst verwirrte, da die Familie und ihr Leben ziemlich ausführlich beschrieben wurden („wann geht denn die Story mit dem Abitreffen los?“), aber durchaus Sinn macht, wenn man das ganze Buch kennt. Auch ihr früherer Job, bei welchem sie unvorstellbar schreckliche Videos für die Polizei durchsieht, um Hinweise auf Sexualstraftäter zu sammeln, wird ausführlich diskutiert – Marla scheint eine Begabung dafür zu haben, Räume zu lesen.

Die einzelnen Kapitel des Psychothrillers sind kurz, dicht und sehr spannend geschrieben. Sebastian Fitzek ist nicht umsonst so berühmt, er kann mit unvorhersehbaren Wendungen, Gänsehaut und (für mich etwas zu brutalen) Elementen den Leser dazu kriegen, immer noch ein kurzes Kapitel lesen zu wollen. Diese enden nämlich ganz gerne mal mit einem Cliffhanger 😉 Dann ist es plötzlich zwei Uhr nachts und man hat das Buch komplett in einem Rutsch durchgelesen und ganz vergessen, was man eigentlich stattdessen noch so machen wollte. Die Geschichte um Marla sowie die Nebenstories haben mich durchaus in ihren Bann gezogen und ich musste wissen, wie es ausgeht.

Man rätselt ständig, wie das Buch wohl enden wird, was genau hier eigentlich passiert, wer der „Böse“ ist und was Marlas Vergangenheit mit all dem zu tun hat. Was ist damals genau vorgefallen und wie sind alle Beteiligten nun an diesem verlassenem Ort gelandet. Teilweise war ich etwas verwirrt, mal war mir etwas nicht so ganz stimmig für mich und ganz realistisch fand ich das Ende jetzt nicht. Aber ich wurde immer mal wieder überrascht und habe das Buch in einem Mal durchgelesen, somit will ich jetzt nicht zu meckern anfangen.


Wenn ihr schon Fitzek-Fans seid, werdet ihr bestimmt auch Die Einladung mögen und wenn ihr schnelle, dichte Psychothriller mögt, ist das auch was für euch. Ich lese nicht soooo viele Thriller, aber ich hatte einen guten Abend mit diesem Buch und kann es somit durchaus empfehlen!

[Lesenswert] The Ministry of Utmost Happiness von Arundhati Roy!

Vielleicht bin ich ein bisschen in die Höhe gehüpft, als ich The Ministry of Utmost Happiness von Arundhati Roy in der Bibliothek entdeckt habe. So sehr ich über die mangelnden kulturellen Angebote hier im Norden auch meckere, die Bücherauswahl in der Bücherei ist einfach grandios!

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy kennt ihr bestimmt schon von „Der Gott der kleinen Dinge“, persönlich mag ich aber auch ihre kurzen, politischen Essays sehr gerne, die die Gesellschaft des Subkontinents immer wieder hinterfragen. Worum ihr neues Buch Das Ministerium des äußersten Glücks (falls ihr lieber auf Deutsch lesen wollt) geht, wusste ich vorm Aufschlagen gar nicht, aber das war auch egal – denn Geschichten erzählen kann sie, unabhängig vom Setting!



Worum geht’s

Wir befinden uns zunächst in Delhi und verfolgen das Leben von Baby Aftab, welches mit zwei Geschlechtern geboren, als Junge aufgezogen und schließlich als Hijra Anjum ihr Leben in und gleichzeitig neben der Gesellschaft lebt. Schlussendlich zieht Anjum auf einen Friedhof, um in Ruhe zu leben und baut sich dort nebenbei ein illegales Hotel auf, in welchem andere verlorene Seelen ein Zuhause finden. Jetzt kommen viele neue, sich hiermit überkreuzende Geschichten hinzu, die sich um vier Menschen ranken, die sich als Studenten während des Kaschmirkonflikts kennenlernten. Durch ihre verschiedenen Schicksale lernt man hier nebenbei indische Geschichte aus verschiedenen Perspektiven kennen und hat gleichzeitig das Gefühl, immer noch im heutigen Indien zu sein.

Wie ist’s

Grandios! Es ist vielleicht für Leute, die nicht viel Wissen über Indien haben, zunächst erschlagend, da viele (politische) Ereignisse und sozialen Konstrukte genannt werden, die man dann erst mal nachlesen sollte, um zu verstehen, warum die Personen handeln, wie sie handeln. Da hat mir mein Studium und Leben in Indien genug Basiswissen gegeben, weswegen ich das Buch einfach nur „genießen“ konnte (das kam mal in Anführungsklammern, weil das teilweise wirklich sehr schwere, brutale Kost ist).

Man bekommt hier so viele spannende, oftmals aber sehr schreckliche Schicksale präsentiert, die einen so ziemlich alles in Frage stellen lassen, was Indien zusammenhält. Durch die vielen Perspektiven bekommt man ein „runderes“ Bild verschiedener historischer Ereignisse (Teilung Indiens, Kaschmirkonflikt, Bhopal-Unfall, Auswirkungen des 11. Septembers..) und Roy schreibt wieder so fesselnd, dass die Dicke des Buches überhaupt kein Problem ist. Im Gegenteil, ich hätte da noch ein paar hundert Seiten und Charaktere mehr genommen!

Arundhati Roy schreibt sehr essayhaft und poetisch, sie malt Bilder, gibt Atmosphäre und manchmal verliert man sich einige Zeit in einer eher belanglos erscheinenden Nebengeschichte, die aber doch wieder zu dem großen Ganzen zusammengeführt wird und dem Leser für etwas die Augen öffnen sollte. Gleichzeitig ist sie wahnsinnig mutig, da sie Missstände anführt, sich über systematische Armut, (durch das Kastenwesen erzeugter) Rassismus, Gewalt, Korruption und die Vermischung von Religion mit Politik, über den Hass innerhalb der indischen Gesellschaft und die unfairen Lebenschancen auslässt. Wie verlieren Menschen ihre Menschlichkeit, fragt sie hiermit immer wieder.


Für mich ist das ein wahnsinnig interessantes, gut geschriebenes, viele Seiten Indiens miteinander verbindendes Buch, welches man lesen sollte. Es gibt durch seine unterschiedlichen Charaktere noch mehr Einblicke in historische, gesellschaftlich transformative Momente und fordert den Leser immer wieder zum Nachdenken heraus. Und trotz all der Tragik, die man liest, bleibt doch irgendwie die Hoffnung, dass sich Dinge noch zum besseren ändern könnten, wodurch man einfach immer noch eine Seite umblättert und hofft – für die Figuren und für Indien.

[Lesenswert] Mittagsstunde & Zur See von Dörte Hansen!

Nachdem ich Altes Land von Dörte Hansen nur so verschlungen habe, musste ich mir natürlich sofort ihre beiden anderen Romane aus der Bibliothek ausleihen. Da ich nun letzte Woche krank im Bett lag, konnte ich sowohl Mittagsstunde (2. Roman) als auch Zur See (3. Roman) von Dörte Hansen innerhalb von zwei Tagen durchlesen und muss sagen, dass ich weiterhin ein kleines Fangirl bin und sehr hoffe, dass sie schon am vierten Roman schreibt!



Worum geht’s

In Mittagsstunde begleiten wir Ingwer Feddersen, der mit 47 Jahren sein Sabbatical an der Uni nutzt, um sich um seine sehr alten (Groß-)Eltern Ella und Söhnke zu kümmern. Hierzu zieht er zurück in seinen Heimatort in der Geest, lebt wieder im ehemaligen Kinderzimmer über dem Landgasthof der Eltern und fragt sich, wann das Dorf eigentlich angefangen hat, langsam (aus) zu sterben.

Zur See wiederum spielt auf einer Nordseeinsel, welche eine Stunde mit der Fähre vom Festland entfernt ist und hat im Fokus die Seefahrer-Familie Hansen, die hier seit 300 Jahren lebt. Hanne Hansen lebt im ehemaligen Kapitänshaus, ihr Mann lieber auf seinem Vogelbeobachtungsturm und auch ihre drei erwachsenen Kinder haben mit dem Inselleben, seinen Touristenströmen und der sich verändernden Dorfkultur zu kämpfen.

Wie sind’s

Beide Bücher drehen sich um die Themen Veränderung, Sterben, Abschied, Neubeginn sowie vom Wandel von Menschen und Orten. Mittagsstunde spielt auf zwei Zeitebenen, was ich sehr mochte, da hierdurch die Geschichten der einzelnen Charaktere und Ort besser greifbar wurden. Man baut viel Empathie auf und leidet mit, während man selbst zu hinterfragen beginnt, was sich im eigenen Leben alles schon so verändert hat. Gleichzeitig fand ich die einzelnen Kapitelüberschriften enorm passend und musste ab und an sehr lachen, wenn etwas eigentlich zu absurd, aber trotzdem noch glaubhaft war (ich sage nur Linedancing).

Zur See war mir persönlich mit 250 Seiten zu kurz, hier hätte man definitiv noch ein bisschen mehr schreiben können, sowohl für die Story als auch für die einzelnen Charaktere, um noch mehr mit ihnen mitfühlen zu können. Denn das Setting „romantisierte“ Nordseeinsel, wo die ehemaligen Bewohner durch reiche Touristen verdrängt und das Alltagsleben der ehemaligen Bewohner komplett verändert werden, ist sehr spannend und aktuell. Auch hätte Dörte Hansen gerne noch etwas mehr in die einzelnen Charaktere eintauchen können, um mir mehr Mensch zu lesen zu geben. Die Personen bleiben unnahbar, etwas kalt, sehr „nordisch“ – wenn ich näher drüber nachdenke, ist das vielleicht eine realistische Abbildung, aber dadurch nicht so leicht, mit ihnen „warm“ zu werden. Also insgesamt absolut nicht schlecht, aber Zur See reicht für mich leider nicht an die beiden anderen Romane und ihre Menschen, die lange in mir nachhallten, heran.


Aber das ist Meckern auf hohem Niveau und es gibt so viele wunderbare einzelne Sätze, Orts- und Stimmungsbeschreibungen, die zu lesen ich wahnsinnig genoßen habe. Allein wie unterschiedlich man Wolken und Himmel beschreiben kann, ist lesenswert und Dörte Hansen transportiert die verschiedenen Stimmungen wahnsinnig gut. Die Verschrobenheit ihrer Charaktere ist glaubhaft, dass Plattdeutsch eingebaut wird, mag ich ebenfalls sehr und ich habe beim Lesen einfach nur Spaß und gleichzeitig immer ein bisschen Angst, dass es gleich schon vorbei ist und noch etwas traurig passiert. Was natürlich dazugehört, aber ach, manchmal will man doch aus der Realität fliehen 😉 Beide Bücher kann ich aus euch weiterempfehlen, aber wenn ihr Altes Land gelesen habt, wisst ihr schon, dass euch hier großartiger Lesegenuss erwartet!


Habt ihr schon etwas von Dörte Hansen gelesen? Wenn ja, wie hat es euch gefallen? Und wartet schon jemand ungeduldig mit mir auf das nächste Buch von ihr?

This website uses cookies. By continuing to use this site, you accept our use of cookies.