Vielleicht bin ich ein bisschen in die Höhe gehüpft, als ich The Ministry of Utmost Happiness von Arundhati Roy in der Bibliothek entdeckt habe. So sehr ich über die mangelnden kulturellen Angebote hier im Norden auch meckere, die Bücherauswahl in der Bücherei ist einfach grandios!

Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy kennt ihr bestimmt schon von „Der Gott der kleinen Dinge“, persönlich mag ich aber auch ihre kurzen, politischen Essays sehr gerne, die die Gesellschaft des Subkontinents immer wieder hinterfragen. Worum ihr neues Buch Das Ministerium des äußersten Glücks (falls ihr lieber auf Deutsch lesen wollt) geht, wusste ich vorm Aufschlagen gar nicht, aber das war auch egal – denn Geschichten erzählen kann sie, unabhängig vom Setting!



Worum geht’s

Wir befinden uns zunächst in Delhi und verfolgen das Leben von Baby Aftab, welches mit zwei Geschlechtern geboren, als Junge aufgezogen und schließlich als Hijra Anjum ihr Leben in und gleichzeitig neben der Gesellschaft lebt. Schlussendlich zieht Anjum auf einen Friedhof, um in Ruhe zu leben und baut sich dort nebenbei ein illegales Hotel auf, in welchem andere verlorene Seelen ein Zuhause finden. Jetzt kommen viele neue, sich hiermit überkreuzende Geschichten hinzu, die sich um vier Menschen ranken, die sich als Studenten während des Kaschmirkonflikts kennenlernten. Durch ihre verschiedenen Schicksale lernt man hier nebenbei indische Geschichte aus verschiedenen Perspektiven kennen und hat gleichzeitig das Gefühl, immer noch im heutigen Indien zu sein.

Wie ist’s

Grandios! Es ist vielleicht für Leute, die nicht viel Wissen über Indien haben, zunächst erschlagend, da viele (politische) Ereignisse und sozialen Konstrukte genannt werden, die man dann erst mal nachlesen sollte, um zu verstehen, warum die Personen handeln, wie sie handeln. Da hat mir mein Studium und Leben in Indien genug Basiswissen gegeben, weswegen ich das Buch einfach nur „genießen“ konnte (das kam mal in Anführungsklammern, weil das teilweise wirklich sehr schwere, brutale Kost ist).

Man bekommt hier so viele spannende, oftmals aber sehr schreckliche Schicksale präsentiert, die einen so ziemlich alles in Frage stellen lassen, was Indien zusammenhält. Durch die vielen Perspektiven bekommt man ein „runderes“ Bild verschiedener historischer Ereignisse (Teilung Indiens, Kaschmirkonflikt, Bhopal-Unfall, Auswirkungen des 11. Septembers..) und Roy schreibt wieder so fesselnd, dass die Dicke des Buches überhaupt kein Problem ist. Im Gegenteil, ich hätte da noch ein paar hundert Seiten und Charaktere mehr genommen!

Arundhati Roy schreibt sehr essayhaft und poetisch, sie malt Bilder, gibt Atmosphäre und manchmal verliert man sich einige Zeit in einer eher belanglos erscheinenden Nebengeschichte, die aber doch wieder zu dem großen Ganzen zusammengeführt wird und dem Leser für etwas die Augen öffnen sollte. Gleichzeitig ist sie wahnsinnig mutig, da sie Missstände anführt, sich über systematische Armut, (durch das Kastenwesen erzeugter) Rassismus, Gewalt, Korruption und die Vermischung von Religion mit Politik, über den Hass innerhalb der indischen Gesellschaft und die unfairen Lebenschancen auslässt. Wie verlieren Menschen ihre Menschlichkeit, fragt sie hiermit immer wieder.


Für mich ist das ein wahnsinnig interessantes, gut geschriebenes, viele Seiten Indiens miteinander verbindendes Buch, welches man lesen sollte. Es gibt durch seine unterschiedlichen Charaktere noch mehr Einblicke in historische, gesellschaftlich transformative Momente und fordert den Leser immer wieder zum Nachdenken heraus. Und trotz all der Tragik, die man liest, bleibt doch irgendwie die Hoffnung, dass sich Dinge noch zum besseren ändern könnten, wodurch man einfach immer noch eine Seite umblättert und hofft – für die Figuren und für Indien.

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